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Ausgeraubt! (Mai 2003)

Ich wusste es ja. Wurde ja von allen gewarnt. Sobald ich von meiner Route und den geplanten Ländern erzählt habe, kamen sofort die Fragen, ob ich denn nicht Angst vor Überfälle hätte oder ob ich eine Waffe dabei habe. Gemäss den pessimistischsten Voraussagungen war eine derartige Reise mit Schweizer Autokennzeichen gar nicht möglich. Spätestens in der Ukraine würde man garantiert ausgeraubt, in Georgien mit Sicherheit als Geisel genommen und in Turkmenistan könne ich das Auto bestimmt gleich nach der Grenze abgeben, von Kasachstan und Sibirien ganz zu schweigen. Zugegeben, etwas verunsichert haben mich alle diese Bemerkungen schon und ich baute jedes Mal eine weitere verschliessbare Kisten im Auto ein oder montierte ein neues Vorhängeschloss, um mich etwas zu beruhigen.

 

Schwer behängt mit Ketten und Schlösser fuhr ich los und war darauf gefasst, sofort nach dem Überschreiten der Landesgrenzen beraubt, überfallen und gekidnappt zu werden. Doch weder in der Ukraine, noch in Georgien oder Turkmenistan und auch in den anderen Ländern passierte etwas derartiges. Im Gegenteil! Die Leute waren alle äusserst freundlich, hilfsbereit und einladend. Sogar, wenn ich mal vergass ausnahmslos alles abzuschliessen, war erstaunlicherweise immer noch alles vollständig da! So nahm ich es immer legerer mit der Sicherheit und nahm sogar einige Ketten und Schlösser wieder ab, da sie bei der Fahrt nervend schepperten.

 

Bis es an diesem einen verflixten Abend in Usbekistan doch passierte. Wir sind zum Nachtessen bei Abu's Familie eingeladen. Abu ist ein Usbeke, der in Taschkent Deutsch unterrichtet und den wir in Buchara kennen lernten. Er durfte zwei Tage mit uns mitfahren und zum Dank lädt er uns nun zum Nachtessen ein. So fahren wir mit Abu in eine dieser typischen Plattenbauten-Siedlungen. Wie ein dicker Gürtel umfassen sie jede ehemalige Sowjetstadt und begegnen mir auf meiner Route bereits seit Budapest. So wurden diese hässlichen Plattenbauten zur zuverlässigen Reisebegleitung. Diese Siedlungen gleichen sich alle und wenn man eine gesehen hat, kennt man alle: Unzählige Betonblöcke, die einzig daran zu unterscheiden sind, dass der Putz an unterschiedlichen Stellen abbröckelt und dass unterschiedlicher Unrat vor den Türen liegt. Nach Katzenpisse riechende Treppenhäuser, die es punkto Unhygiene mit jedem besetzten Haus in Zürich aufnehmen können. In denen rostige Rohre und unisolierte Drähte unlogisch zur Wand raus ragen. Doch verlässt man das Treppenhaus durch die Wohnungstür, betritt man eine neue Welt, die sich aber auch wieder überall gleicht: Bunte Teppiche und noch buntere Tapeten möchten über die Tristheit des grauen Alltags hinwegtäuschen. Sie werden unterstützt von kitschigem Krimskrams, der die Wohnwand füllt. Die Leute in diesen Wohnungen laufen in Morgenmänteln oder Jogginganzügen herum. In so eine Plattenbau-Siedlung wurden wir nun von Abu geführt und stellen unsere Autos in einen Hof zwischen einer rostigen Wellblechgarage und einem noch rostigeren Lada. Im selben Block, in dem Abu wohnt, können Jürgen und ich für die Zeit unseres Aufenthaltes in Taschkent eine Wohnung beziehen.

 

Zwischen Buchara und Samarkand: Simone, Mitsch, Abu

Zum Nachtessen werden uns von Abu's Mutter die leckersten Kohlrouladen serviert, die ich je ass (abgesehen von den Kohlrouladen meiner Mutter natürlich). Es wurde selbstverständlich wieder so viel aufgetischt, dass es für den ganzen Plattenbau gereicht hätte. Nach dem Essen und dem Dessert und dem Tee und den Nüssen und den Erdbeeren und dem Konfekt wollen wir unsere Autos zum bewachten Parkplatz bringen, doch da ist es schon zu spät.

 

Als ich zur "Old Lady" komme, bemerke ich sofort eine merkwürdige Unordnung im Innern. Erst auf den zweiten Blick fallen mir die offenen Fenster und Beifahrertüre auf. Der Schrecken fährt mir durch Mark und Bein. Erst nach und nach realisiere ich, was alles fehlt und es war so einiges: mancherlei Dinge, die materiellen Wert haben, die aber ersetzt werden können. Viel schmerzhafter sind dagegen etliche Sachen, die einen ideellen Wert haben, wie zum Beispiel das Heimweh-Fotoalbum, das mir am Abschiedsbrunch geschenkt wurde, meine Agenda mit den Reisenotizen und allen Adressen oder das alte Originalhandbuch zum Landrover. Alles Sachen mit denen die neuen Besitzer wenig bis gar nichts anfangen können. Richtig kritisch hingegen ist das Fehlen benötigter Ausrüstung, zum Beispiel zur Wasseraufbereitung (Kathadynfilter und Micropur). Auch werden die Autofahrten ohne Musik (Autoradio und Minidisk weg) noch länger und sehr öde werden.

 

Mein Reise-Stimmungsbarometer hat ein Rekordtief erreicht, da wird meine düstere Laune durch einen kleinen Hoffnungsschimmer erhellt. Ein ca. 14-jähriger Junge bringt mir ein zerzaustes Landy-Handbuch mit der unschuldigen Frage, ob das vielleicht mir gehöre. Er habe das im nahen Kindergarten-Park gefunden. Abu und ich knöpfen ihn uns sofort vor und er muss uns zur Fundstelle führen. Schnell wird klar, dass dieser Junge mehr weiss, denn er führt uns nun zu Büschen, wo wir weitere kleinere Sachen versteckt finden. Am liebsten würde ich ihn packen und tüchtig durchschütteln, doch halte ich mich zurück, solange er sich so kooperativ verhält. Abu kennt den Jungen, der neu in der Nachbarschaft wohnt. Er redet sehr eindringlich auf ihn ein und verspricht eine gute Belohnung, wenn alle Sachen sofort hergeschafft würden. Der Junge zieht ab, um es mit den Tätern zu besprechen, kommt aber bald erfolglos retour.

 

Trotz meinem antrainierten Zwecksoptimismus schreibe ich innerlich bereits alle gestohlenen Dinge ab. Sie sind in einem Land wie Usbekistan zu wertvoll, um einfach retour gebracht zu werden, viele der gestohlenen Sachen entsprechen dem vielfachen eines hiesigen Monatslohnes. Vom Plan morgen zur Polizei zu gehen, halte ich auch nicht viel. Trotz den Argumenten, dass die hier alle Schlitzohren kennen, würden sie die wiederbeschaffte Ausrüstung eher selber verhökern und so ihr spärliches Beamtensalär aufzubessern, wenn sie nicht sowieso mit den Gaunern unter einer Decke stecken. Doch unterschätze ich in meinem trüben Pessimismus die Gutmütigkeit der Glücksgöttin "Fortuna" und vergesse, dass ich offenbar eines ihrer Lieblingskinder sein muss. Auf jeden Fall rechne ich nicht mit dem starken Beziehungsnetz über das Abu's Mutter verfügte. Die richtigen "Connections" zu haben, ist in diesen Ländern, wo du dich weder auf Gesetze noch Polizei verlassen kannst, das allerwichtigste.

 

Über den Nachbarsjunge wird im Verlaufe des nächsten Morgens klar, wer alles am Raub beteiligt war. Es stellt sich heraus, dass es sich um eine Jugendgang von ca. zwanzig Jungs handelt und das meine Sachen nun in 20 Plattenbau-Wohnungen in der ganzen Siedlung verteilt sind. Nun liess die Mutter ihren Einfluss auf die Nachbarschaft walten. Sie macht klar, wenn nicht alles retour kommt, werden die jugendlichen Täter verzeigt. Diese Drohung zeigte seine Wirkung, denn es drohte den Jungs nicht nur ein polizeiliches Verhör unter "knüppelharten" Bedingungen, sondern wird hier noch oft die sogenannte Sippenhaft vollzogen. Das bedeutet, wenn ein Lauselümmel was ausfrisst, kommt gleich die ganze Familie dafür in den Knast.

 

Zwei typische Plattenbauten, wie sie immer zu Duzenden zusammenstehen.

Den ganzen Morgen sitze ich staunend im Hof der Plattenbau-Siedlung, während die verschiedenen Familien meine Sachen zurück bringen. Zuerst kommen nur ein paar wertlose Kleinigkeiten. Aber unter dem Druck von Mama Abu, die mit Hilfe einer von mir aufgestellten Liste Position um Position einfordert, kommen allmählich auch wichtige Dinge retour. Sie lässt nicht locker: "Wo ist der Feldstecher?", fragt sie die vielen umherstehenden Leute. "Ah, der ist glaube noch bei uns", antwortet verlegen eine Nachbarin. "Also holt ihn endlich", befiehlt streng meine Eintreiberin. Nach und nach streichen wir auf der Liste das Zurückgebrachte, bis am Schluss nur noch das Haus-Sonnenberg-Taschenmesser, welches mir mein letzter Arbeitgeber zum Abschied schenkte und die Sammlung mit den fremden Währungen. Die Familie, die nun mein Taschenmesser habe, sei nicht zu Hause und die fremde Währung versuche ein Vater gerade auf dem Bazar umzutauschen. Am Abend soll ich aber die letzten beiden fehlenden Sachen auch noch erhalten. Wer's glaubt! Doch wieder werde ich positiv überrascht, denn tatsächlich wird beides auch noch abgegeben.

 

In den folgenden Tagen fallen mir noch ein paar Dinge ein, die ich vergass auf die Liste zu nehmen und die auch nicht retour gebracht wurden, wie zum Beispiel Campingkerze oder Ersatzbatterien. Ärgern mag ich mich nicht darüber, sondern lächle und gestehen mir ein, dass ich wahrscheinlich einfach zu viel Ausrüstung dabei hatte und sie nun sinnvoll reduziert wurde. Weniger Glück hatten hingegen die beiden Autostopper, die ich von Usbekistan nach Kirgisien mitnahm und denen im Ferangana-Tal der Rucksack aus meinem Auto gestohlen wurde. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.