Der gefaehrlichste Moment (Juni 2003)
Immer wieder wird mir die Frage gestellt, ob ich nie Angst habe oder es bisher nie gefaehrlich war. Darum will ich nun von dem Moment erzaehlen, an dem ich mich am meisten gefuerchtet habe. Es war auch die gefaehrlichste Situation, wenn man von rostigen Riesenraedern, schlecht gewarteten Blocklifts oder dem Fleisch, resp. Softeis von der Strasse absieht. Bevor ich aber mit der eigentlichen Geschichte beginnen kann, muss ich kurz erklaeren, was sich seit dem letzten Bericht veraendert hat. Juergen, der mich mit seinem Bus durch den Iran, Turkmenistan und Usbekistan begleitet hatte, blieb in Taschkent, wo er die Frau seines Lebens fand (bereits seine fuenfte, doch das ist eine andere Geschichte...). Dafuer traf ich in Osch die beiden Motorradfahrer Claudio und Jochen, die mit mir nun durch Kirgisien fahren.
Ich glaube, dass es sogar meine Idee war, zum Soen-Kol zu fahren. Einem Bergsee im Herzen Kirgisiens, der etwa die Groesse des Zuerichsees hat, aber auf ueber 3'000 Meter ueber Meer liegt. Andere Kirgisien-Reisende schwaermten mir von der einmaligen Stimmung am Ufer dieses Sees vor. Seine Lage fernab jeglicher Zivilisation uebte einen besonderen Reiz auf mich aus und stachelte meinen Ehrgeiz an, diesen See mit dem eigenen Fahrzeug zu erreichen.
Es braucht keine grosse Ueberredungskuenste meinerseits, um die Motorradfahrer fuer diese Exkursion zu begeistern. Auf der Karte sind verschiedene Pisten zum See eingezeichnet und sogar das GPS zeigt einen Weg an um hinauf zu gelangen. "Es wird also keine grosse Hexerei sein", denken wir und fahren los. Auf dem letzte Stueck Strasse, bevor die Berge sich steil erheben, nehme ich einen Autostopper mit und bringe ihn zu seiner Jurte, die an unserem Weg liegt. Dafuer zeigt er uns eine Abkuerzung und den Eingang zum richtigen Tal, in dem wir ueber einen Pass zum Soen-Kol gelangen. Bei der Jurte verlieren wir einige Zeit mit freundlichen Worten, Adressenaustausch und Fotografieren. Als wir uns ins Tal aufmachen, ist es schon weit nach acht Uhr. Zum Glueck wird es hier spaet dunkel.
Wir haben nie auf guten Strassenverhaeltnissen gehofft, dass eine anspruchsvolle Pistenfahrt auf uns zukommt, ist uns klar. Aber mit dem, was uns nun erwartet, haben wir doch nicht gerechnet. Statt einer Autopiste ist es vielmehr ein Wanderweg oder ein ausgespueltes Bachbett, das es zu befahren gilt. Die Fahrzeuge die hier jemals hoch sind, taten dies bestimmt nicht zur Schneeschmelze, wie wir jetzt gerade. Der vergangene Winter, der auf dieser Hoehe noch kaum vergangen ist, hat deutlich seine Spuren hinterlassen. Immer wieder erschweren uns grosse Graeben, weggespueltes Trasse oder Erdrutsche die Weiterfahrt. Etliche Male muessen wir den Bach, der einst dieses Tal ausfrass und uns nun staendig begleitet, ueberqueren.
Gerade haben wir wieder das knietiefe Wasser gekreuzt und auch den zwei Meter hohen Erdwall ueberwunden, der vom Bach am seinem Ufer aufgehaeuft wurde, als mein Motor am anschliessenden steilen Stueck ins stocken geriet. Die duenne Luft in dieser Hoehe und das schlechte Benzin lassen seine Leistung enorm sinken. Er stottert und bevor ich in den ersten Gang schalten kann, stirbt er ab und beginnt rueckwaerts zu rollen. Ich bremse, doch der Wagen regiert nicht darauf und beschleunigt seine Rueckwaertsfahrt. Seit einiger Zeit wollte ich schon die Bremsleitungen entlueften, denn zum Bremsen muss ich immer zwei, drei Mal mit dem Pedal pumpen. Doch dieses Mal pumpe ich wie verrueckt, ohne dass es Wirkung zeigt. Im Gegenteil, wir werden schneller und schneller. Entweder habe ich bei der Gelaendefahrt die Bremsleitungen beschaedigt oder es ist Wasser und Dreck in die Bremstrommeln gelangt. Auch kriege ich keinen Gang mehr rein, um mit dem Motor abbremsen zu koennen. Von der Handbremse lasse ich die Finger, da mich ein erfahrener Landrover-Fan gewarnt hatte, sie waehrend der Fahrt zu betaetigen, wuerde das Getriebe ruinieren.
So sause ich rueckwaerts die steile Passage runter auf Jochen zu, der hinter mir faehrt und nur knapp ausweichen kann. Im Schuss springe ich ueber den Erdwall, so dass ich mit allen vier Raedern den Boden verlasse und mit einem grossen Platsch im Bach lande, wo die "Lady" endlich still steht. "Das ging ja gerade nochmals gut", denke ich erleichtert, starte den Motor, schalte nun in den untersetzten Gelaendegang und nehme den Erdwall und das steile Stueck erneut in Angriff. Unterdessen geht die Sonne unter und durchs Tal blaest eine fiese Biese. Es wird unmoeglich sein, in diesem engen, steilen Tal einen Platz zum Uebernachten zu finden. Wir muessen es noch ueber den Pass schaffen. Der Pfad wird steiler und steiler, frisst sich ueber viele Serpentinen hinweg ins Tal hinein und schraubt sich stetig in die Hoehe. Hier ist er nur noch in die lose Erde der schraeg abfallenden Talwand gegraben. Zur rechten Seite faellt der Hang etliche Meter senkrecht zum Bach ab, links wird der Weg von der hoch aufragenden Erdmauer abgegrenzt. Laengst bin ich von dieser anspruchsvollen Fahrt erschoepft, das schwache Tageslicht erschwert die Sicht und die Kaelte laesst mich frieren. Vom schweren Lenken und den vielen Stoessen schmerzen mir die Arme und mein Schaedel brummt.
Nun wird es so steil, dass die arme, keuchende "Lady" sogar in den untersetzten Gaengen Muehe bekommt. Sie beginnt abermals zu stottern und wieder kriege ich den ersten Gang nicht rein. Erneut faengt das schwere Gefaehrt an rueckwaerts zu rollen und wiederum versagen die Bremsen. Wir werden rasch schneller und ich muss beim Rueckwaertsfahren tuechtig lenken, um nicht ueber den Pistenrand hinauszufahren und ins tiefe Bachbett runter zu stuerzen. Doch lange kann diese Schussfahrt nicht dauern. Beim Rauffahren habe ich vor etwa zweihundert Meter eine spitze Haarnadelkurve passiert, die ich nun mit dieser Geschwindigkeit unmoeglich umfahren kann. Es presst mir den kalten Angstschweiss auf die Stirn und meine Atmung wird zum Hecheln. Immer rascher sausen wir auf die Kurve zu, die "Lady" wird darueber hinausdonnern, dann ein paar Sekunden Freifall und aus....
Eine letzte Chance habe ich noch, wenn es mir gelingen wuerde, mit dem Hintern in den Hang zu fahren und das Auto so zum Stehen zu bringen. Lenke ich aber zu rasch ein, kippt bei diesem Tempo der Wagen. Lenke ich zu langsam ein, wird das Auto am Hang zu schief und kippt ebenfalls. Auf diesem schmalen Weg bedeutet das Kippen jedoch das selbe, wie ueber die Kurve hinaus zu fahren. Das Auto wuerde sich ueberschlagen und den Hang hinuntergestuerzt. Mit grossem Respekt steure ich also die Sausefahrt Richtung Hang. Die "Lady" neigt sich gefaehrlich zur Seite, kniet tief in ihre Blattfedern, kippt aber zu meinem grossen Glueck nicht. Mit einer enormen Wucht rammt sie den Erdhang, graebt sich bis zu den Hinterraedern in die den weichen Boden und bleibt mit einem grossen Ruck stehen. Haette ich Airbags, waeren sie nun rausgeplopt. Ich schliesse erleichtert die Augen, sinke erschoepft ueber das Steuer und atme erloest die kalte Bergluft in tiefen Zuegen. Noch immer zittere ich am ganzen Koerper. Doch viel Zeit zur Erholung bleibt mir nicht: wir stecken immer noch in diesem unfreundlichen Tal und ich darf die Motorradfahrer, die unterdessen weit voraus sind, nicht verlieren.
Es ist schon dunkel und tiefe Nacht, als wir endlich den Pass erreichen. Doch unsere erleichterte Freude darueber wird schon nach kurzer Zeit jaeh beendet, als uns auf der anderen Seite unueberwindbare Schneefelder erwarten. Das ist jedoch eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzaehlt werden.