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Mongolischer Cowboy (Juli 2003)

Die Mongolei! Glücklich bin ich im Land meiner Träume angekommen. Es wiederstrebt mir zwar, die Mongolei als Ziel meiner Reise zu bezeichnen. Das Ziel ist die Reise selbst und auf dem Weg ins Lande Dschingis Khans liegen noch so einige Staaten, die ebenso fremde Kulturen bieten, geradeso eine spannende Geschichten vorweisen und ebenfalls mit einer überwältigenden Natur bestechen. Der grosse Unterschied für mich  besteht aber darin, dass die Mongolei den Hinweg vom Rückweg trennt. So habe ich nun in der Mongolei irgendwie das Gefühl, angekommen zu sein, obwohl ich nochmals genauso viel Weg vor mir habe.

In der Hälfte meiner Reise ist die Zeit mehr als reif, der "Old Lady" eine Pause zu gönnen und das Auto für eine Woche stehen zu lassen. Vier Monate Autofahren gehen nicht spurlos an einem vorbei und nach den langen Strecken durch Kasachstan und Sibirien rebelliert besonders mein Gesäß und verlangt deutlich nach einer Abwechslung. Die Mongolen sind ein Volk von Reitern, es gibt in diesem Land weit mehr Pferde als Auto und was ein richtiger Mongole ist, der hat in seinem Leben mehr Zeit auf einem Pferderücken als auf dem Boden verbracht. Was liegt da näher, als den Autositz für eine Woche mit dem Sattel zu tauschen. Ob das wirklich die richtige Abwechslung für meinen Hintern ist, darüber mache ich mir keine Gedanken.

Ich will möglichst viel über die mongolische Kultur erfahren und dem Jurtenleben so nah wie möglich kommen.  Mit diesem Ziel ziehe ich eine Woche zu einer Nomadenfamilie und erlebe Tage voller Erstaunen, Betroffenheit und Verwunderung. Sehr ergreifend ist bereits, mit welcher Herzlichkeit ich in die Familie aufgenommen werde. Schon ab dem ersten Tag geben sie mir das Gefühl ein Mitglied der Sippe zu sein. Meinerseits gebe ich mir dafür grosse Mühe, all die Regeln und Rituale einzuhalten und versuche dabei trotzdem locker und natürlich zu bleiben. "Die Männer halten sich auf der linken Seite der Jurte auf! Die Füsse ja nicht gegen den Ofen strecken! Auf keinen Fall auf die Türschwelle treten! Geschenke mit beiden Händen geben, usw., usw., usw."

Meine Gastfamilie bei der ich eine Woche gewohnt habe, zusammen mit der Familie aus der Nachbarsjurte.

Bald habe ich den Eindruck, dass das gesamte Tun und Lassen von einem strengen Regelwerk bestimmt wird. Jede Handlung und sei sie noch so alltäglich, scheint genau festgelegt zu sein, wird in jeder Jurte von jedem Mongolen/jeder Mongolin gleich ausgeführt und seit Jahrhunderten gewissenhaft von einer Generation der nächsten weitergelehrt. Aber nicht nur Handlungen sind durch diese strengen Sitten festgelegt. So ist jede Jurte genau gleich eingerichtet und mit der selben Anzahl und Art von Möbeln ausgestattet. Bei wohlhabenden Nomaden ist die Jurte etwas grösser, die Einrichtung aus besserer Qualität beschaffen und alles ist reicher verziert. Aber sowohl die Küche, die Kommode, die Betten, wie auch der Hausaltar stehen überall in der selben Ordnung arrangiert. Das hat für mich den Vorteil, dass ich mich bei jeder der vielen fremden Jurten, die wir auf unseren Ausritten besuchen, sofort auskenne. Ich weiss, wo ich meinen Rucksack hinstellen darf, welches mein Sitzplatz ist und auch in schlecht beleuchteten, verrauchten Jurten finde ich mich sofort zurecht.

Zu meiner Begrüssung wird am ersten Abend ein Schaf geschlachtet. Auf die Art und Weise, wie in der Mongolei geschlachtet wird, gehe ich hier lieber nicht ein. Erstens möchte ich zartbesaitete Leser nicht erschrecken, aber noch weniger möchte ich, dass nach meinem Bericht massenweise Tierschützer in die Mongolei pilgern. Wenn ich beim Schlachten noch an eine saftige Lammkeule oder ein knusperiges Braten denke und mir schon das Wasser im Munde zusammenläuft, habe ich mich zu früh gefreut. Den bei den Mongolen gelten die Eingeweide als besondere Delikatesse, die einem Ehrengast vorgesetzt werden. So sehe ich mich unversehens vor einer riesigen Schüssel voll Schafsinnereien, die im eigenen Blut gegart wurden. Rund um die Schüssel ist die gesamte Familie versammelt und gespannt sind alle Augen auf mich gerichtet. Man ist stolz, dass man solche Köstlichkeiten auftischen kann und alle warten heisshungrig, bis sie nach dem Gast selber zugreifen können. "Auftischen"  ist wohl der falsche Begriff, den man sitzt dabei am Boden rund um die gemeinsame Schüssel, gibt das scharfe Messer im Kreis und jeder schneidet sich heraus, was er begehrt und isst mit der Hand. Etwas hilflos lasse ich mir die einzelnen Organe erklären, schneide von jedem ein Stückchen ab und versuche beim Essen nicht zu fest an ihre Körperfunktionen zu denken. Fasziniert beobachte ich die Kinder bei diesem Schlachtmahl. Kein Schweizer Kind hätte auch nur ein Bissen davon gegessen und auch mancher Erwachsene hätte sich beim Anblick der im Blut schwimmender Organe gegraust. Aber diese Nomadenkinder stürzten sich regelrecht auf dieses "Festessen"  und balgten wie junge Hund um die besten Stücke. Auch als am nächsten Morgen die Reste zum Frühstück serviert wurden, griffen sie gierig zu. Wobei bereits der jüngste (vierjährig) gekonnt mit dem Schlachtmesser hantierte und die Organe fachgerechte in Stücke zerteilte.

Zur Begrüssung wurde am ersten Abend ein Schaf geschlachtet.

Über das Essen in der Mongolei könnte ich noch viel schreiben. Nicht weil es so vielseitig oder so reichlich vorhanden wäre. Ganz im Gegenteil, aber es unterscheidet sich so grundsätzlich von dem, was wir uns gewohnt sind, dass wirklich jede Mahlzeit zum Abenteuer wird. Das bekannteste Beispiel hierfür dürfte der Buttertee sein, der mit Tee aber nur insofern verwand ist, dass er auch aus Kräutern aufgebraut wird. Ansonsten erinnert er an eine Suppe, da er kräftig gesalzen ist und dicke Fettaugen darauf schwimmen. Das ist praktisch, denn so kann er nach dem Essen gleich in die gebrauchten Speiseschalen gegossen werden, die danach nicht mehr gespült werden müssen. In jeder Jurte steht jederzeit eine Kanne warmer Buttertee bereit und kaum sitzt man, kriegt man schon eine Schale davon gereicht. Auch wenn er für uns sehr ungewohnt schmeckt, bin ich jedes Mal froh, wenn ich Buttertee serviert bekommen, denn noch beliebter als der Tee ist Aymak, besser bekannt als Kummis. Dieses Getränk wird aus gegorene Stutenmilch gewonnen und schmeckt für europäische Gaumen abscheulich. Zum ersten Mal kam ich damit in Kontakt, als wir in der turkmenischen Wüste bei einer Jurte übernachteten. Doch verhinderte damals eine Dosis Naswei-Kautabak, dass dieses grässliche Getränk den Weg vom Magen in den Darm fand. Das zweite Kummis-Erlebniss hatte ich in Kirgistan, wo Claudio, Jochen und ich in eine Jurte eingeladen wurde und uns unter 16 neugierigen Augenpaaren eine Schale davon gereicht wurde. Wir mussten nur einen Schluck davon trinken. Das genügte jedoch bereits, um die Darmaktivität derart zu beschleunigen, dass wir uns kurz darauf verabschieden mussten. Offenbar scheint es jedem europäischen Verdauungssystem bei der ersten Kummis-Auseinandersetzung so zu ergehen. Da half es auch nichts, dass ich mir auf der bisherigen Reise eine Hornhautschicht auf den Magenschleimhäute zugelegt habe. Doch kommen wir zurück auf die kulinarischen Bräuche in der Mongolei. Besitzt die Familie eine Pferdeherde, steht mit grösster Sicherheit in ihrer Jurte ein 50-Liter-Fass mit Kummis. Es verlangt die Sitte von jeder eintretenden Person, zuerst in diesem Fass zu rühren. So wird gewährleistet, dass das Gebräu während des Gärprozesses genügend gemischt wird. Der Gastfreundschaft zu liebe trinke ich tapfer Schale um Schale, die mir vorgesetzt wird und versuche dabei meine Abscheu so gut wie möglich zu verbergen. Meine Darmflora hat längst gegen diesen verschärften Bakteriencocktail aufgerüstet und ich glaube mich schon resistent gegenüber diesem sauren Geschmack, als ich neben einem dieser besagten Fässer übernachten muss. Der säuerlich-gärige Geruch, der deutlich an Erbrochenes erinnert, lässt mich kein Auge zudrücken und ich kämpfe die ganze Nacht gegen den Brechreiz. Als man mir am nächsten Morgen die erste Schale Kummis zum Frühstück serviert, bin ich nahe dabei, die Flucht zu ergreifen.
 
Bevor ich mit dem feinschmeckerischen Kapitel abschliesse, muss ich noch diese "Plätzchen" erwähnen, deren Name ich nicht mehr weiss. Auch wenn ich ihn noch wüsste, könnte ich ihn weder richtig aussprechen, geschweige den richtig schreiben. Dieses Ding erinnert mich am ehesten an ein Stück steinharter Käse, wobei die Mongolen jedes Mal protestieren, wenn ich es mit Käse vergleiche. Es wird aus Yackmilch gewonnen und wie Gebäck gegessen. Als besonderer Leckerbissen streicht man noch etwas saure Sahne darauf, obwohl es selber schon sauer genug ist. Ich habe gehört, dass die Mongolen all diese sauren Milchprodukte essen müssen, da sie keine Vitamine von Früchten oder Gemüse zu sich nehmen. Fast ihr gesamter Speiseplan besteht aus Milch- und Fleischprodukte.

Die mongolischen Pferde sind nicht so gross wie ihre europäischen Verwandten. Das hat den Vorteil, dass man nicht so hoch fällt, wenn man fällt und auch das Auf- und Absteigen ist leichter. Trotz ihrer geringen Körpergrösse erreichen sie im vollen Galopp aber eine erstaunliche Geschwindigkeit. Sie sind unglaublich zäh und ausdauernd und bewältigen mühelos steile Berghänge und unwegsames Gelände. Im Vergleich zu unseren nervösen Pferden, die sofort losgaloppieren wollen, sobald sie Tageslicht sehen, sind die mongolischen Artgenossen ruhiger und ausgeglichener, da sie den ganzen Tag im Freien verbringen.

Cowboy Mitsch 'hoch' zu Pferde.

Ideale Bedingungen für mich, richtig Reiten zu lernen. Ich bin kein guter Reiter. Zu Hause und in Südamerika bin ich zwei, drei Mal ausgeritten, gehöre aber sicher noch in die Kategorie der blutigen Anfänger. Das muss ja nicht jeder gleich wissen und als wir am ersten Abend darüber sprechen, wie lange wir pro Tag ausreiten wollen, einigen wir uns auf ca. 8 Stunden. Denn ich möchte von dieser unvergleichlichen Natur ja soviel wie möglich sehen. Acht Stunden auf dem Pferderücken sind aber eine sehr, sehr, sehr lange Zeit. Ein geübter Reiter in einem bequemen Sattel oder ein Mongole bestreitet diese Stunden bestimmt mühelos. Ich bin aber zweifelsohne keines von beiden und mein Sattel ist alles andere als bequem. Zwar ist es kein einheimisches Modell, die sind aus Holz geschnitzt und nur ein echtes mongolisches Gesäss kann darauf überleben. Ich bekomme zum Glück einen russischen Sattel, der eigentlich gepolstert wäre und aus Leder besteht. Jedoch stammt dieses Modell bestimmt noch aus der Zeit als Dschingis Khan die Welt eroberte und die goldene Horde brachte ihn als Beute aus einem ihrer siegreichen Feldzügen von Russland mit. Jedenfalls ist er bereits so durchgeritten, dass von der Polsterung nicht mehr viel zu spüren, das Leder genau so hart wie Holz ist und grobe Nähte quer über die Sitzfläche scheuern erbarmungslos, so dass mein Gesäss nun nur noch Autofahren will.

Würde unter meinen Körperteilen eine demokratische Ordnung bestehen, hätte der gesamte Leib bereits am zweiten Tag den Kopf einstimmig von seiner Leitung enthoben. Dieser führt jedoch ein diktatorisches Regime und jeder Antrag der gesamten Glieder auf eine Verkürzung der 8-Stunden-Ausritte wird kategorisch abgelehnt. Die zweite Tageshälfte sitze ich jeweils abwechselnd auf dem linken und dem rechten Oberschenkel im Sattel und nach dieser Woche klebt mir die Unterhose vom Wundwasser am Hintern. Dafür kann ich aber mit Stolz behaupten, mich genau so lange im Sattel gehalten zu haben, wie ein echter Mongole.

Früh übt sich, wer ein echter mongolischer Cowboy sein will: Der vierjährige Asglyuk mit einem mongolischen Lasso.

Nur einmal fliegt meine Tarnung deutlich auf. Wir durchqueren eine der wenigen Städte und mein Pferd, das nicht an Autos gewöhnt ist, beginnt zu scheuen. Irgendwie scheint es zu spüren, dass ich doch nicht so ein sicherer Reiter bin, wie ich vorgebe und es bleibt stur stehen. Alle meine autoritären Bemühungen bringen es nicht dazu, weiter zu gehen und schlussendlich muss es mein Begleiter an die Leine nehmen. So werde ich im Schlepptau durch die Strassen geführt. In einem Land, wo die Kinder parallel zum Laufen das Reiten lernen, wo bereits vierjährige selbständig ausreiten und siebenjährige als Jockey das Reitturnier am grossen Staatsnadam gewinnen, muss ein erwachsener Mann auf einem geführten Pferd, ein ulkiges Bild abgeben. Hier sieht man sowieso kaum Ausländer und so ist es logisch, dass die ganze Stadt über diesen weissen Gringo lacht. Ich versuche die Schmach etwas zu schmälern, indem ich absteige, um wenigstens mein Pferd selbe zu führen. Neben seinem Pferd zu laufen, scheint jedoch nicht weniger ungewohnt zu sein.

Richtig traurig wird es am Ende der Woche, als ich mich wieder verabschieden muss. Sie hätten mich gerne noch etwas länger beherbergt und es ist schon fast ein wenig so, als verlöre ich eine Familie. Doch kann ich leider nicht länger bleiben, denn ich bin in ein paar Tagen in Irkutsk mit Antonio verabredet. Er wird mich quer durch die sibirische Taiga bis nach Moskaus begleiten. Doch das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.

In dieser Woche wurde ich zu einem echten Mongole (äusserlich jedenfalls).